US-Autor Stephen King und sein Sohn Owen lassen das vermeintlich schwache Geschlecht in ihrem ersten gemeinsamen Buch in einen geheimnisvollen Dornröschenschlaf fallen.

Sleeping Beauties: Wenn plötzlich alle Frauen einschlafen
© Jenny Meyer Literary Agency Inc., Heyne Verlag

Ohne Frauen droht die Apokalypse, meinen jedenfalls US-Bestseller-Autor Stephen King und sein Sohn Owen in ihrem ersten gemeinsamen Mystery-Thriller.

Für seinen neuesten Roman "Sleeping Beauties" hat sich Horror-Altmeister Stephen King seinen 40-jährigen Sohn Owen ins Boot geholt. Dahinter vermutet man vielleicht einen PR-Coup, um die Autorenkarriere des Sprösslings voranzutreiben. Tatsächlich bleibt unklar, wie viel der Sohnemann zur Geschichte beigetragen hat. Dennoch scheint er einen positiven Einfluss auf seinen nunmehr 70-jährigen Vater ausgeübt zu haben: "Sleeping Beauties" ist die beste King-Veröffentlichung seit Jahren, vielleicht gerade weil sie mit bewährten Motiven spielt.

Das fast 1000-seitige Mammutwerk greift vertraute Elemente aus "The Stand", "Insomnia" und "Under The Dome" auf, ohne die Bestseller zu kopieren. Es ist mehr ein "Herzlich willkommen zurück im typischen King-Unviversum"-Gefühl, das die Leser schon nach wenigen Seiten beschleicht.

Roter Faden trotz Überlänge

Von der Länge des Buches und allein der mehrseitigen Aufführung von Charakternamen zu Beginn sollte man sich nicht abschrecken lassen. Trotz einer Vielzahl an gleichwertigen Protagonisten und ausschweifenden Nebenhandlungen fällt es erstaunlich leicht, den Überblick zu wahren. Die Kings verlieren nie den roten Faden, verlangen ihrem Publikum aber durchaus konzentriertes Lesen ab.

Am Ende mag sich nicht jede Figur und jede Hintergrundgeschichte als relevant erweisen. Das kann man als Leser aber vorher kaum absehen. Zumindest auf den ersten 400 Seiten besteht daher keinerlei Anlass zum flüchtigen Überfliegen der Kapitel. Der lebendige Stil der Kings setzt das Kopfkino in Gang und in Gedanken wird "Sleeping Beauties" bereits als spannende TV-Serie inszeniert.

In einer kleinen Stadt

Einmal mehr entführt King in die nicht ganz so heile Welt einer US-Kleinstadt, in der das Grauen des Alltags schon bald durch apokalyptischen Horror abgelöst werden soll: Zuerst hören die Menschen in Dooling, West Virginia, nur aus den Medien von der geheimnisvollen "Aurora"-Seuche.

Diese befällt ausschließlich Frauen und versetzt diese in eine Art Dornröschenschlaf. Sobald sie eingenickt sind, bildet sich ein klebriger Kokon um ihre Körper. Es ist vor allem Männern davon abzuraten, diesen zu entfernen. Denn dann erwachen die Frauen kurzzeitig und werden zu mörderischen Bestien. Als eine wunderschöne Fremde in Dooling auftaucht und ein Blutbad in einem abgelegenen Crystal-Meth-Labor anrichtet, tritt das Phänomen plötzlich auch in Dooling auf.

Sexy Killerin mit dunklem Geheimnis

Sheriff Lila Norcross staunt nicht schlecht, als ihr die blutverschmierte Killerin quasi direkt vor den Wagen läuft. Ihr Mann Clinton, der als leitender Psychiater im nahegelegenen Frauengefängnis arbeitet, soll sich dort der scheinbar geistig verwirrten Schönheit annehmen. Eva Black, wie sie fortan genannt wird, redet viel komisches Zeug. Doch sie scheint auch Dinge zu wissen, die sie eigentlich gar nicht wissen kann. Hat sie etwa auch eine Ahnung, was es mit Aurora auf sich hat? Ist sie gar der Auslöser der Schlafkrankheit, die sie seltsamerweise nicht befällt?

Clinton ist fasziniert von seiner unverhofften Patientin, die sich offensichtlich auch zu ihm hingezogen fühlt. Während die beiden hinter den Gefängnismauern ihren ganz eigenen Geschlechterkampf austragen, gerät die Welt außerhalb dieser zunehmend aus den Fugen. Immer mehr Frauen schlafen ein und verpuppen sich. Verzweifelt versucht sich Lila mit Koffein, Aufputschmitteln und Drogen wachzuhalten, um weiterhin für Recht und Ordnung sorgen zu können. Doch es ist ein hoffnungsloser Wettlauf gegen die Zeit.

Geschlechtertrennung wider Willen

Die Story verliert in der zweiten Hälfte des Romans ein wenig an Tempo, als sich die schlafenden Frauen in einer Art Parallelwelt wiederfinden. Ihr Leben ohne Männer verläuft friedlich, während die reale Welt ohne Frauen in Chaos und Gewalt versinkt.

Die Einschübe mit verträumten Naturbildern und sprechenden Tieren wollen als übernatürliche Komponenten nicht so recht funktionieren. Hier verlieren sich Stephen und Owen King ein wenig im Kitsch, der das Unerklärliche irgendwie erklärlich machen soll. Oder ist es gar ein unglücklicher Versuch, ihre Kritik an Sexismus, Gesellschaft und Politik möglichst subtil zu verpacken?

Auch was die Figur der Eva Black angeht, fehlt es an Substanz: Die vielen kryptischen Andeutung sollen wohl ganz bewusst Verwirrung stiften, um Spannung heraufzubeschwören. Doch genau hier liegt das große Manko von "Sleeping Beauties", zieht man die großen King-Klassiker zum Vergleich heran: Es gelingt Vater und Sohn zwar die Neugier der Leser aufrechtzuerhalten, welches Schicksal den mal mehr, mal weniger gut ausgearbeiteten Figuren widerfährt. Packende Horror-Momente lässt der Mystery-Thriller aber trotz seines beachtlichen Umfangs weitgehend vermissen.

TV-Serie bereits in Vorbereitung

Die US-Produktionsfirma Anonymous Content ("Mr. Robot", "13 Reasons Why") hat sich dennoch die TV-Rechte an der Story gesichert. Gemeinsam mit Stephen King soll daraus jetzt tatsächlich eine Serie fürs Mainstream-Publikum entwickelt werden. Auf welchem Sender oder bei welchen Streaming-Anbieter diese laufen wird, steht noch in den Sternen.

Vor dem Binge-Watching müssen sich King-Fans also erst mal ans Binge-Reading machen: Das Geheimnis um die "Sleeping Beauties" hätte man wesentlich kürzer erzählen können. Langweilig wird es aber trotz überflüssiger Nebenhandlungen nie. Die Kings verstehen eben ihr Handwerk und wissen gut zu unterhalten.

"Sleeping Beauties" von Stephen und Owen King ist im November 2017 im Heyne Verlag erschienen.

Mehr Infos zu den Autoren: www.stephenking.com / www.owen-king.com

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  • Rezension zu: Stephen und Owen King: Sleeping Beauties
  • Redaktionswertung:

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