Im neuen Thriller „Der Schatten“ bekommt eine junge Frau vorausgesagt, zur Mörderin zu werden. Der dritte Roman von Bestseller-Autorin Melanie Raabe spielt im winterlich-tristen Wien.
Im Thriller „Der Schatten“ bekommt eine junge Frau vorausgesagt, zur Mörderin zu werden. Der dritte Roman von Autorin Melanie Raabe weiß trotz unnahbarer Hauptfigur zu fesseln.
Norah ist eine impulsive Journalistin mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. Ihr geht es darum, die Wahrheit ans Licht zu bringen – ohne Kompromisse und auch, wenn sie sich damit selbst jede Menge Ärger einhandelt.
Genau das hat sich als Folge ihrer letzten Reportage zugetragen. Ihr ganzes Leben in Berlin liegt in Scherben. Kurzerhand verlässt sie ihren Lebensgefährten Alex und flüchtet ins winterlich-graue Wien. Dort hofft sie auf einen Neuanfang.
Dieser verläuft anders als geplant: Die Stelle in der Redaktion eines aufstrebenden Magazins verspricht zwar Ablenkung von den schwierigen letzten Monaten. Doch auf die Arbeit soll sich Norah nur bedingt konzentrieren können. Denn kaum ist sie in Österreichs Hauptstadt angekommen, trifft sie in der Fußgängerzone auf eine geheimnisvolle Bettlerin.
Die Alte macht ihr eine dunkle Prophezeiung: „Am 11. Februar wirst du am Prater einen Mann namens Arthur Grimm töten. Aus freien Stücken.“
Wer zum Teufel ist Arthur Grimm? Die unheimliche Begegnung lässt Norah keine Ruhe, zumal sie fortan immer wieder über den Namen des Mannes stolpert. Auch sonst geschehen merkwürdige Dinge: Gegenstände verschwinden aus ihrer Wohnung, unbekannte tauchen dafür auf. Ihre neue Nachbarin sieht zudem einer alten Freundin zum Verwechseln ähnlich, was dunkle Erinnerungen in Norah heraufbeschwört.
Als sie schließlich beginnt, Recherchen anzustellen, verdichtet sich mehr und mehr eine düstere Vermutung: Vielleicht hat sie tatsächlich einen guten Grund, zur Mörderin zu werden und das Leben von Arthur Grimm zu beenden.
Diese knappe Inhaltsangabe genügt schon, um festzustellen: Auch Bestseller-Autorin Melanie Raabe verbindet das Thriller-Genre unwiderruflich mit einer außergewöhnlichen, haarsträubenden Ausgangssituation, die es im Anschluss zu erklären gilt. Ihr bekannter Kollege Sebastian Fitzek fährt damit schon seit vielen Jahren sehr gut.
Doch auch Raabe selbst hat mit ähnlichem Strickmuster zwei erste Erfolge gelandet: Die Romane „Die Falle“ und „Die Wahrheit“ verhalfen ihr auf Anhieb zum kommerziellen Durchbruch als Schriftstellerin. Eines gelingt der 37-Jährigen in ihrem neuen Buch „Der Schatten“ wieder sehr viel besser als Fitzek: Sie schlüsselt eine hanebüchene Geschichte viel überlegter auf, liefert bis ins Detail logische Erklärungen für vermeintliche Zufälle und unglaubwürdige Geschehnisse.
Wo Fitzek immer noch eine verrückte Idee mehr einbaut, um das Tempo und die Spannung zu steigern, schaltet Raabe direkt nach dem Neugier weckenden Auftakt einen Gang zurück: Statt Action zu forcieren, bemüht sich die gebürtige Thüringerin um Atmosphäre. Wenn im Laufe der Story das ungute Bauchgefühl der Protagonistin zunimmt, geschieht dies auch bei den Lesern. Mit fortschreitenden Kapiteln streut Raabe kleine Brotkrumen, die nie zu viele Hinweise geben, aber Etliches erahnen lassen.
Mit einem sehr guten Timing arbeitet sie auf den großen Showdown am Prater hin, der noch mit einigen obligatorischen Wendungen aufwartet. Die Geschichte erweist sich als komplex durchkonstruiert, aber dennoch als runde Sache. Raabe schafft es, alle losen Enden zusammenzuführen und offene Fragen zufriedenstellend zu beantworten. Ihr routinierter, flüssiger Schreibstil und die kurzen, aufgeräumten Kapitel lassen sie nie vom Wesentlichen abschweifen.
Das Hauptaugenmerk liegt ohnehin voll und ganz auf der Figur der Norah, die allerdings das große Manko des Romans darstellt. Von Anfang an fällt es schwer, mit der unberechenbaren Eigenbrötlerin warm zu werden. Ein Charakter muss nicht unbedingt sympathisch wirken, um die Leser zu packen. Auf jeden Fall sollte er diesen aber nicht gleichgültig bleiben.
Doch genau so verhält es sich mit Norah. Diese beharrt gleichermaßen selbstbewusst wie verbissen auf ihrer Meinung, lässt keine Alternativen zu. Wer etwa keinen Draht zur Kunst mitbringt, dies offen kundtut oder mit Unwissen glänzt, wird in ihren Gedanken gleich mal arrogant abgewertet. Männer haben es generell schwer in ihrer Welt: Alex hat sie abserviert, weil er eine andere Ansicht als sie vertreten hat. In Wien benutzt sie das andere Geschlecht für schnellen Sex, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen.
Ihr Männerbild scheint hochgradig gestört, weil sie in ihrem Job immer wieder einflussreichen Kerlen begegnet, die körperliche oder verbale Gewalt gegen Frauen ausüben. Besonders ihre letzte Reportage in Berlin hat sie dahingehend traumatisiert. Jetzt wird sie stets zur Furie, wenn sich ein Mann in irgendeiner Weise falsch verhält.
Norahs aggressiven Ausbrüche sind wohl auch auf ihr angedeutetes Alkoholproblem zurückführen. Ihren Kummer ertränkt sie immer wieder in Wodka, Wein und Co. Zu allem Überfluss bieten ihr ihre vermeintlich engen Freunde bei gemeinsamen Treffen zusätzlich Alkohol an, obwohl Norahs Drogenvergangenheit kein Geheimnis ist. Dieser kleine Logikbruch darf aber als Mittel zum Zweck verstanden werden: Raabe schürt mit Absicht Misstrauen gegenüber ihrer Protagonistin.
Bildet sich Norah etwa alles nur im Rausch ein? Oder dreht sie durch, weil sie mit einem schlimmen Erlebnis in ihrer Jugend einfach nicht abschließen kann? Diese Fragen hängen bis zur Auflösung bedrohlich in der Luft. Norah lässt sich so zu keinem Zeitpunkt richtig einschätzen und wird damit auch nicht zur Identifikationsfigur.
Trotz des unnahbaren Hauptcharakters weiß „Der Schatten“ gut zu unterhalten und liest sich überaus schnell. Melanie Raabe versteht es, ihre Leser in die Geschichte hineinzuziehen. Man will einfach wissen, wie das ganze Theater am Ende erklärt wird.
Mehr Infos zur Autorin: www.melanieraabe.de
„Der Schatten“ von Melanie Raabe ist am 23. Juli 2018 im btb Verlag erschienen.
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