Die Menschen organisieren sich zunehmend in sozialen Netzwerken. Im Roman „Netzwerk“ spitzt sich dieser Trend zu und stürzt schließlich die ganze Welt ins Chaos. Autor Robert Charles Wilson widmet sich der interessanten Thematik in Form einer spannungsarmen Geschichte. Mehr...

Netzwerk: Zähe Zukunftsvision von Robert Charles Wilson
© Heyne Verlag

Die Menschen organisieren sich zunehmend in sozialen Netzwerken. Im Roman „Netzwerk“ von Robert Charles Wilson spitzt sich dieser Trend zu und stürzt schließlich die ganze Welt ins Chaos.

Mit gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigte sich der in Kanada lebende US-Autor Robert Charles Wilson bereits in seiner „Spin“-Trilogie, die allerdings in einer ferneren Zukunft spielt. In seinem neuesten Science-Fiction-Roman „Netzwerk“ entführt er seine Leser in ein deutlich greifbareres Szenario. Dieses könnte sich durch schon in ein paar Jahren so ähnlich abspielen.

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Der junge Adam Fisk lebt in den Tag hinein. Sein Grafikstudium in Toronto ist mehr so eine Notlösung und überhaupt nur möglich, weil seine Großmutter es finanziert. Vom Rest seiner Familie in der US-Kleinstadt Schuyler im Bundesstaat New York kann er wenig bis keine Unterstützung erwarten.

Für seinen strengen Vater stellt Adam ohnehin eine einzige Enttäuschung dar. Sein Bruder Aaron, der sich im Familienunternhemen engagiert, liegt höher in der Gunst des herrischen Familienoberhaupts. Dieses unterdrückt auch Adams Stiefmutter Laura und ihren Sohn Geddy.

Berechnete Seelenverwandtschaft

Als Grammy Frisk stirbt, steht Adam vor der Wahl: Entweder er gibt sein Studium auf und kehrt zurück ins ungeliebte Zuhause oder aber er findet eine schnelle Alternative. Es kommt gelegen, dass er sich dem wissenschaftlichen Test einer großen Data-Mining-Firma unterzogen hat.

Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Menschen unterschiedlichen Affinitäten zuzuordnen. In solchen Gruppierungen kommen Personen zusammen, die sich nach Erkenntnis des Tests gut verstehen, ähnlich ticken und sich daher als Seelenverwandte empfinden. Doch nicht jeder schafft es in eine der 22 Affinitäten.

Adam hat Glück: Er wird dem Elite-Netzwerk Tau zugeteilt und wagt einen Neuanfang im Kreise von Gleichgesinnten. In der Gemeinschaft wird er sofort akzeptiert und bekommt die Anerkennung, die ihm sein Vater nie geschenkt hat. Zudem garantiert sie ihm ein Dach über dem Kopf, Freunde und sexuelle Kontakte sowie einen gut bezahlten Job.

Kein perfektes System

Mit der wachsenden Popularität und gesellschaftlichen Bedeutung der Affinitäten wächst auch Adams Verantwortung bei den Taus. Die unterschiedlichen Netzwerke haben eigentlich zum Ziel, die Kooperation zwischen den Menschen zu fördern und zu optimieren. So könnte eine bessere und glücklichere Welt für alle entstehen. Im Laufe der Jahre zeigen sich jedoch immer mehr die Mankos des Systems.

Die Affiniitäten neigen dazu, sich abzuschotten und untereinander zu konkurrieren. Das führt bereits in naher Zukunft zu schwerwiegenden weltpolitischen Konsequenzen, bis hin zu apokalyptischen Zuständen. Adam steckt mittendrin und muss sich schließlich fragen, ob es das alles wert war.

Doch bis Robert Charles Wilsons Roman zum großen, eher konventionellen Showdown an Tempo gewinnt, gilt es zahlreiche Längen zu überstehen. Das Buch kommt bereits sehr schleppend in Fahrt, was zum einen am trockenen Schreibstil der Autors liegt. Zum anderen stellt der 63-jährige Kalifornier einen ebenso nüchternen und fast schon langweiligen Protagonisten vor: In der Ich-Form schildert Adam seine Familienkonflikte, seine Orientierungslosigkeit und den ersten Kontakte mit seiner Affinität sehr sachlich und emotionslos.

Ein schwacher Protagonist

Die Liebe zum Detail fehlt dem Titelhelden wahrlich nicht, wenn es um die Erklärungen rund um die Konzepte und Machenschaften innerhalb der Netzwerke geht. Hier will Wilson wohl mit seinen ausgiebigen Recherchen in Sachen sozialwissenschaftliche Theorien auftrumpfen. Dabei verpasst er es jedoch, Adams Geschichte und Psyche ausreichend zu beleuchten.

Vor allem im Mittelteil geht es in der Hauptsache um Entwicklungen und Episoden, die sich um andere Personen drehen. Adams Berichte lesen sich wie schlichte Zusammenfassungen der Ereignisse. Selbst von seinen Affären innerhalb und außerhalb der Tau-Verbindung erzählt er relativ leidenschaftslos. Wenn Adam seine Anflüge von Eifersucht thematisiert, ist dies in seinem Fall schon als besondere Gefühlsregung zu werten.

Natürlich lässt sich hineininterpretieren, diese gewisse Abgestumpftheit sei durch die fehlende Zuwendung des Vaters verschuldet. Doch eine so unnahbare und profillose Figur wie Adam will und kann man nur bedingt deuten. Im Grunde dient sie Wilson lediglich dazu, seine düstere Vision der nahen Zukunft zu zeichnen.

Die Welt vor dem Abgrund

Adam fungiert als Beispiel für die Generation Orientierungslos, die kein Ziel vor Augen hat und in einer zunehmend bedrohlichen Welt auf sich allein gestellt ist. Gruppierungen wie die Affinitäten erscheinen da verlockende Zufluchtsorte, die Halt und Perspektiven bieten.

Das Ganze hat aber natürlich seinen Preis, wie  schon zu Beginn von „Netzwerk“ erahnt werden kann. Das Chaos zum Finale kommt daher wenig überraschend... nach leider viel zu ausführlichen und redundanten Ausführungen zur Affinitätsidee.

Das Thema des Romans ist zweifelsohne hochinteressant, gerade in Hochzeiten der sozialen Netzwerke im Internet. Wilson kann das Potenzial der starken Prämisse aber nicht nutzen, weil er seine fiktive Story streckenweise wie einen zähen Essay serviert. Die fast 400 Buchseiten ziehen sich trotz etlicher Zeitsprünge. Kurzum: Es fehlt an Spannung und einer Figur zum Mitfiebern.

„Netzwerk“ von Robert Charles Wilson ist am 13. Juni 2017 im Heyne Verlag erschienen.

Mehr Infos zum Autor: www.robert-charles-wilson.com

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  • Rezension zu: Robert Charles Wilson: Netzwerk
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