Weltretter Tim Bendzko tanzt nicht aus der Reihe, sondern bedient sich wieder und wieder seiner bewährten Song-Schablone. Das muss man nicht ignorieren, aber auch nicht euphorisch feiern. „Immer noch Mensch“ ist gefälliger Deutsch-Pop fürs Radio. Mehr...
Weltretter Tim Bendzko tanzt nicht aus der Reihe, sondern bedient sich wieder und wieder seiner bewährten Song-Schablone.
Gleich mit seiner ersten Single „Nur noch kurz die Welt retten“ gelang Tim Bendzko der Durchbruch. Sein Debütalbum „Wenn Worte meine Sprache wären“ verkaufte sich über 600.000 Mal. Vom Nachfolger „Am seidenen Faden“ brachte der Sänger 400.000 Tonträger an die Frau und den Mann. Nach so viel schnellem Erfolg ist der Wunsch nach ein bisschen Ruhe und Rückzug nachvollziehbar.
Über drei Jahre lang hat sich Bendzko für sein drittes Album „Immer noch Mensch“ Zeit gelassen. Gemeinsam mit Toningenieur Nico Berthold und befreundeten Musikern verkroch er sich in sein hauseigenes Studio, um intensiv an neuem Songmaterial zu arbeiten. Tim hegte den Wunsch, diesmal noch mehr in die eigene Hand zu nehmen. So schlüpft er nicht nur in die Rolle des Sängers und Songwriters, sondern fungierte auch als Produzent.
Inspiriert von seinen intimen „Mein Wohnzimmer ist Dein Wohnzimmer“-Konzerten im Jahr 2014 besinnt sich der 31-Jährige auf eine vorwiegend akustische Instrumentierung zurück. Die 12 zusätzlichen Songs der Neuauflage von „Am seidenen Faden“ („Unter die Haut“-Version, 2014) ließen zunächst befürchten, Bendzko würde sich fortan in elektronischen Spielereien verlieren. Der handgemachte Sound mit Piano, Akustikgitarren und Streichern steht ihm nun wieder viel besser.
Die unaufgeregte, zeitlose Inszenierung schließt die Massenkompatibiltät nicht aus. Ganz im Gegenteil: Nahezu jeder Titel auf „Immer noch Mensch“ eignet sich dank vertrauter Akkorde und eingängiger Melodien als potenzielle Single-Auskopplung - egal ob Ballade („Immer noch Mensch“) oder Uptempo-Nummer („Hinter dem Meer“). Das Problem dabei: Bendzkos gefühlvoller Deutsch-Pop entsteht mit bewährter Schablone, die keine Option für Überraschungen bietet.
Selbst der Wortschatz der Lieder ist stark begrenzt: Ziemlich oft will Tim etwas „ignorieren“ oder „reparieren“. Das fällt erst recht auf, weil er viele seiner Lieblingswörter ganz eigenwillig beim Singen betont. Generell scheint der Berliner um mehr Tiefgang bemüht als bislang: Es geht um Selbstfindung („Leichtsinn“, „Keine Maschine“, „Nicht das Ende“), Selbstzweifel („Winter“, „Beste Version“) und zerbrochene bzw. zerbrechende Beziehungen („Sternenstaub“, „Reparieren“). Die Songideen mögen auf persönlichen Erfahrungen basieren. Bendzko formuliert aber so allgemein, dass sich jeder darin wiederfinden kann und soll.
Er singe jedoch nicht für den Applaus, wie er uns in „Warum ich Lieder singe“ weismachen will. Wenn man den Textzeilen des Songs Glauben schenkt, musiziert Tim Bendzko quasi für sich selbst, um Seelenballast loszuwerden und sich quasi selbst zu therapieren.
Das mag vielleicht doch nur die halbe Wahrheit sein. Man kauft dem sympathischen Lockenkopf aber auf jeden Fall die Liebe und den Spaß an der Musik ab. Für den nächsten Longplayer wäre ein bisschen mehr Mut, ausgetretene Pfade zu verlassen, trotzdem wünschenswert.
Mehr Infos zum Künstler: www.timbendzko.de
Veröffentlichung am 21.10.2016 (Columbia / Sony Music)
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