Der Kulturausschuss des Europäischen Parlaments spielt mit dem Gedanken, den Streaming-Diensten eine Europa-Quote aufzuzwingen. Nach der französischen Netflix-Produktion "Marseille" sollten die Initiatoren dieser Pläne aber vielleicht noch einmal in sich gehen. Mehr...

Machtkämpfe und viel nackte Haut in ''Marseille''
© Netflix / Polyband

Selbst ein Gerard Dépardieu geht bei einer Überdosis Klischees und Sex unter: Die Netflix-Serie "Marseille" erweist sich als Reinfall.

Der Kulturausschuss des Europäischen Parlaments spielt mit dem Gedanken, den Streaming-Diensten eine Europa-Quote aufzuzwingen. Nach der französischen Netflix-Produktion "Marseille" sollten die Initiatoren dieser Pläne aber vielleicht noch einmal in sich gehen. Denn was da als Frankreichs "House Of Cards" verkauft wird, bleibt eine kaum zu ertragende Banalität in der aktuellen Serienlandschaft.

Was verschlang im Falle von "Marseille" wohl den größten Teil der Produktionskosten? Etwa die Gage für Gerard Dépardieu in der Hauptrolle oder doch eher die hübschen Luftaufnahmen der am Golfe du Lion gelegenen Hafenstadt? Als Zuschauer kann man darüber nur spekulieren.

An den falschen Stellen gespart

Fürs dünne Drehbuch aus der Feder des französischen Autors Dan Franck hat Netflix hoffentlich nicht allzu viel hingeblättert. Die zahlreichen Szenen vor der Green-Box waren sicher ein Schnäppchen. Nur vor Landschaftstapeten mit Urlaubsimpressionen hätten die Akteure vielleicht noch günstiger agieren können. Gespart wurde auf jeden Fall an Klamotten: In gefühlt jeder dritten Szene hüpfen nackte Brüste durchs Bild.

Die Franzosen treiben es gemäß stereotyper Vorstellungen eben gerne wild, oft und bunt. Der Sex dient in "Marseille" aber selten dem reinen Vergnügen, sondern fungiert als Werkzeug für Intrigen und Machtspiele. Der skrupellose Drahtzieher Lucas Barrès (Benoit Magîmel) verführt trotz seines schmierigen Ekelpaket-Charakters jede junge und ältere Dame mit Leichtigkeit. So manipuliert er gekonnt das andere Geschlecht. Seine Affären bewegt er mit Erfolg zu politischen Gefälligkeiten.

Plumper Rachefeldzug ohne Biss

Abgesehen hat es Barrès auf den Bürgermeister von Marseille: Über 20 Jahre lang war der dauerkoksende Koloss Robert Taro (Depardieu) sein Mentor. Zur bevorstehenden Wahl will Taro nicht mehr antreten und Barrès als seinen potenziellen Nachfolger unterstützen. So weit kommt es allerdings nicht. Bei einer wichtigen Entscheidung über den Bau eines großen Casinos, das der Bürgermeister als große Chance für die Stadt sieht, zeigt Barrès plötzlich sein wahres Gesicht.

Warum er Taro plötzlich in den Rücken fällt und für seinen Rachefeldzug sogar gemeinsame Sache mit der Mafia macht, ist schnell durchschaut. Franck geht wenig subtil beim Erzählen seiner Geschichte vor. Allein der überdramatisierte und redundante Score weist in jeder der acht Folgen mit dem Holzhammer auf neue Bedrohungen hin.

Die Regisseure Florent Emilio Siri ("Hostage - Entführt") und Thomas Gilou ("La vérité si je mens !") bemühen sich erst gar nicht, das plumpe Treiben lebendig zu inszenieren. Auf weiten Strecken wirkt die Serie fast wie eine nüchterne Dokumentation. Das macht die ohnehin sehr durchschaubar dahinplätschernde Handlung noch zäher.

Zweite Staffel wird schon gedreht

Eine obligatorische und sehr tragische Liebesgeschichte mit dezenten Shakespeare-Anleihen darf selbstverständlich auch nicht fehlen: Taros Tochter Julia (Stéphane Caillard), eine junge Journalistin, verguckt sich in Selim (Nassim Si Ahmed), einen Algerier aus dem Problemviertel Marseilles.

Die Kluft zwischen Reich und Arm, die so prägend für die französische Metropole ist, wird durch die Romanze und auch durch  Barrès' Kontakte zur Gangsterwelt nur sehr oberflächlich angerissen. "Marseille" bedient lieber Klischees am laufenden Band, als sich um Tiefgang zu bemühen.

Da kämpft sich selbst ein fähiger Mime wie Depardieu ohne Leidenschaft durch die platten Dialoge. Benoit Magîmel ist als sein Gegenspieler deutlich präsenter. Doch seine Figur ist zu einfach gestrickt und kann keinerlei Biss vorweisen. Lucas Barrès könnte es in Sachen politische Intrigen nicht annähernd mit einem Francis Underwood aus "House Of Cards" aufnehmen, so das enttäuschende Fazit aus "Marseille".

Zu allem Überfluss hat Netflix eine zweite Staffel des Dramas bestellt, die aktuell gedreht wird. Der Serienauftakt ist ab sofort nicht nur beim Streaming-Riesen abrufbar, sondern auch auf DVD und Blu-ray erhältlich.

"Marseille: Staffel 1": Veröffentlichung am 15.05.2017 auf DVD (Polyband / WVG)

Angebote auf amazon.de

B06VWHPQPYB06W9KPZ21B072821ZXQ3000458603

  • Rezension zu: Marseille: Staffel 1
  • Redaktionswertung:

Kommentar schreiben

Senden

Weitere Serienchecks