Als „bester Film des Jahres“ muss der Oscar-Abräumer "Moonlight" falsche Erwartungen erfüllen. Im Heimkino ist das Coming-of-Age-Drama nun vielleicht sogar besser aufgehoben als auf der großen Leinwand. Dennoch verschenkt es viel Potenzial. Mehr...

Moonlight: Eine nüchterne Rezension zum DVD-Start
© A24 / DCM, Universum Film

Als „bester Film des Jahres“ muss der Oscar-Abräumer "Moonlight" falsche Erwartungen erfüllen. Im Heimkino ist das Coming-of-Age-Drama nun vielleicht sogar besser aufgehoben als auf der großen Leinwand.

Die Überraschung war perfekt, als "Moonlight" bei der diesjährigen Oscar-Verleihung zum besten Film gekürt wurde. Nicht etwa, weil Laudator Warren Beatty wegen einer Panne fälschlicherweise zunächst "La La Land" als Sieger verkündet hatte. Vielmehr darf der "Moonlight"-Triumph als kleine Sensation gewertet werden, da die Academy tatsächlich zum ersten Mal einem Film mit komplett schwarzer Crew diese Ehre zuteil werden ließ.

Das zweite Regiewerk Barry Jenkins setzt ein deutliches Zeichen gegen Rassismus, Mobbing, Ausgrenzung und Homophobie, indem es in sehr poetischen Bildern eine tragische Coming-of-Age-Geschichte erzählt. In drei Kapiteln wird das Schicksal des Außenseiters Chiron beleuchtet, das in den 1980ern seinen Anfang nimmt.

Coming-of-Age-Drama in drei Akten

Zu Beginn wird der kleine, dünne Bub mit den großen, traurigen Augen von allen nur "Little" (Alex Hibbert) genannt. Seine alleinerziehende Mutter (Noamie Harris) verfällt mehr und mehr ihrer Drogensucht und kann ihrem Kind nicht die Liebe schenken, die es braucht. In der Schule wird Little gemobbt, die meiste Zeit des Tages ist er im Problemviertel Miamis auf sich alleine gestellt. Ausgerechnet bei Juan (Mahershala Ali), dem Dealer seiner Mutter, und dessen Freundin Teresa (Janelle Monáe) findet er gelegentlich einen Zufluchtsort und Zuwendung.

Später ist Vaterfigur Juan tot und Chiron (Ashton Sanders) ein verzweifelt-verwirrter Teenager, der jeden Tag die Hölle durchlebt. Daheim terrorisiert ihn seine abgestürzte Mutter, von den Mitschülern bezieht er Schläge. Als sich auch noch sein Jugendfreund und Schwarm Kevin an den Prügeln gegen ihn beteiligt, bricht es Chiron das Herz. Die große Enttäuschung, seine aufkochende Wut und die Ausweglosigkeit seiner Situation machen das Opfer schließlich selbst zum Gewalttäter.

Nicht ohne Konsequenzen: Als junger Mann kann Black (Trevante Rhodes), wie sich Chiron nun nennt, bereits auf eine langjährige Knastkarriere zurückblicken. Wieder auf freiem Fuß hat er sich als muskelbepackter Drogendealer etabliert. Die knallharte Fassade täuscht: Bei Begegnungen mit seiner reuevollen Mutter und einem unverhofften Wiedersehen mit Kevin kommt noch immer die zerbrechliche Seite Chirons zutage. Schafft es dieser endlich, seine Isolation aufzugeben und die Mauer, die er zum Schutz um sich errichtet hat, zu durchbrechen?

Die Macht der wenigen Worte

"Moonlight" beantwortet diese Frage nicht, endet abrupt in einer Szene, die Hoffnung macht, das Publikum aber dennoch in Ungewissheit lässt. Ein klassisches Happy End wäre aber auch fehl am Platze gewesen. Jenkins Film, der auf dem Theaterstück "In Moonlight black boys look blue" basiert, will sich nicht den Gewohnheiten des breiten Publikums beugen. Die atmosphärisch inszenierte Indie-Produktion bricht mit den Hollywood-Klischees, begnügt sich mit episodenhaften Momentaufnahmen aus dem Leben ihres Protagonisten. Gesprochen wird nur das Nötigste, weshalb die wenigen Worte umso mehr wirken.

„An einem bestimmten Punkt musst du dich entscheiden, wer du sein willst, und niemand kann dir diese Entscheidung abnehmen“, rät Juan schon dem kleinen Little. Genau mit dieser Entscheidung kämpft Chiron jedoch all die Jahre. Er ist gezwungen, sich anzupassen, um sich gegen die seelische und körperlicher Gewalt von außen zu behaupten.

Am Ende öffnet sich für Chiron aber eine neue Tür. Diese Option macht Mut und ist ein versöhnliches Ausrufezeichen, das "Moonlight" nach durchaus zähen Momenten setzt. Das Problem liegt vor allem im gemächlichen Erzähltempo. Dieses bremst die Geschichte immer wieder aus.

Es bleibt gerade einmal Zeit, die drei unterschiedlichen Lebensabschnitte des Protagonisten anhand von Schlüsselszenen zu skizzieren. Das Drama wird immer nur angerissen und lediglich in kurzen, lauten Augenblicken ausgelebt.

"Moonlight" verschenkt viel Potenzial

Gleichzeitig übernimmt in jedem der drei Kapitel ein neuer Darsteller die Rolle von Chiron. Das macht es für das Publikum zusätzlich schwierig, eine Verbindung zu dem sehr verschlossenen Charakter aufzubauen. Ohne Alex Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes hätte die Dreiteilung der Geschichte sicher nicht nicht so gut funktioniert. Im Grunde ist es verschenktes Potenzial, sie nur in den jeweils kurzen Abschnitten einzusetzen. Als Filmtrilogie oder gar als Serie hätte "Moonlight" mit diesem talentierten Trio vermutlich noch viel mehr packen können.

Knapp 110 Minuten Laufzeit zwingen Barry Jenkins dazu, Kompromisse einzugehen, die ihm immerhin recht gut gelungen sind. Dennoch lässt sich diese ganz große Oscar-Euphorie nicht nachvollziehen. "Moonlight" ist definitiv kein schlechter Film, aber tatsächlich der beste Film des Jahres?

War die Konkurrenz wirklich so schwach? Oder wollte die Academy 2017 partout die Vorwürfe widerlegen, seit Jahrzehnten das "schwarze Hollywood" bei ihren Nominierungen und Auszeichnungen bewusst zu ignorieren? Diese Fragen lasten auf dem kleinen Independent-Drama, das nach der Oscar-Verleihung so hohe und gleichzeitig falsche Erwartungen zu erfüllen hat.

"Moonlight": Veröffentlichung am 25.08.2017 auf DVD und Blu-ray (DCM / Universum Film)

Mehr Infos zum Film: www.derbestefilmdesjahres.de

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  • Rezension zu: Moonlight
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